Das zweite Leben eines Baumes
Herrenberg: Schüler der Jerg-Ratgeb-Realschule gestalten eine Skulptur aus Holz
von Nadine Nowara, Gäubote Herrenberg, 08.12.2017
betreuende Lehrerin: Melanie Wissendaner
Der Künstler Thomas Putze zeigt den Schülerinnen, wie sie das Holz bearbeiten können GB-Foto: Holom
Schüler der Klassen 9 und 10 der Jerg-Ratgeb-Realschule raspeln, schmirgeln, sägen und hämmern, was das Zeug hält. Sie bearbeiten knochige und robuste Äste aus Eichenholz, aus denen mal eine Skulptur wachsen wird. Der Bildhauer Thomas Putze begleitet sie dabei.
2019 jährt sich die Fertigstellung des bekannten Herrenberger Ratgeb-Altars zum 500. Mal. Das Jubiläum feiern auch die Initiatoren des Jerg-Ratgeb-Skulpturenpfads mit verschiedenen Aktionen. „Vielen Herrenbergern ist der Wert der Kunstwerke gar nicht bewusst. Zum Jubiläum gibt es Projekte, um sie den Menschen näherzubringen", sagt Melanie Wissdaner, Kunstlehrerin an der Jerg-Ratgeb-Realschule. Sie hat sich und ihre Schüler der Klassen 9 und 10 für ein Projekt bei Prof. Dr. Helge Bathelt, dem Kurator des Skulpturenpfads, beworben. Bathelt stellte den Kontakt zum Stuttgarter Bildhauer Thomas Putze her, mit dem die Schüler nun an einer großen Holzskulptur arbeiten, die auch Teil des Jerg-Ratgeb-Skulpturenpfads werden könnte. Gefördert wird die Aktion von der Bürgerstiftung Herrenberg und der Bürgergruppe Jerg Ratgeb.
„Unfertige Kunst"
Das Material haben sich die Jungen und Mädchen selber ausgesucht. „Wir haben im Schönbuch Teile von Eichenbäumen mitgenommen", erzählt Putze, der häufig Workshops für Jugendliche anbietet und auch als Dozent an der Freien Kunstakademie Nürtingen tätig ist. „Kunst kann infinito, also unfertig sein. Wenn zum Beispiel Körperteile fehlen, hat das eine eigene Ästhetik", erklärt der gebürtige Augsburger der Klasse. Als Beispiel führt er die Venus von Milo an, der beide Arme fehlen.
In Kleingruppen arbeiten die Jungen und Mädchen in den Kunsträumen ihrer Schule an Einzelteilen, aus denen schließlich eine Gesamtskulptur entsteht. Die Atmosphäre ist sehr entspannt und angeregt zugleich: In einem der beiden Zimmer wird Musik gehört, ein Mädchen bringt Butterbrezeln vorbei. „Viele kommen zum ersten Mal in Kontakt mit so groben Materialien und fangen dann Feuer. Aber die Arbeit kann auch eine körperliche Grenzerfahrung sein, da man durchhalten muss. Eichenholz kann ganz schön hart sein", sagt Putze, der eine Lehre als Landschaftsgärtner absolviert hat. Er findet es wichtig, dass die Jugendlichen der Kunst sowie auch Künstlern begegnen und eigene Kunst schaffen können. „Die Schüler sollen etwas aus dem Holz rauserkennen", betont Melanie Wissdaner.
Die Schüler haben, bevor sie selber kreativ tätig wurden, die Kunstwerke des Skulpturenpfads gemeinsam mit Putze erkundet, um sich inspirieren zu lassen. Dessen mit einer Kettensäge bearbeitete Holzskulptur „Bauernkriegsfamilie" steht am oberen Teil des Pfades zum Schlossberg. An ihr orientieren sich die Schüler für ihr eigenes Projekt. Gaye und Julia fiel an der „Bauernkriegsfamilie" besonders ins Auge, das die einzelnen Teile der Skulptur Eisendraht verbindet, und sie somit „verlängert" ist. „Mir gefällt, dass er das Holz natürlich gelassen hat", sagt Julia.
Mit einem Zieheisen müssen die Nachwuchskünstler die Äste zunächst von Moos befreien und entrinden. Das dauert bis zu mehreren Stunden. Die Mädchen haben diesen strapaziöseren Teil schon fast hinter sich und schmirgeln gerade ihr Stück Holz ab. Man kann bereits erkennen, dass aus ihm mal hölzerne Oberschenkel werden. Pascal und Philipps Projekt ist „Kopfsache". Den müssen sie aber noch vom Rest des Oberkörpers abgrenzen und die Proportionen abrunden. Die Nase hat Mutter Natur schon erledigt - ein Holzstrunk ragt fast keck hervor. Das Material ist noch richtig frisch: Ein kleiner Käfer bahnt sich seinen Weg aus einem Loch.
„Ich lasse das Holzstück, so wie es ist. Es sieht so schön aus", sagt der 14-jährige Sven, der mit einer abstrakteren Form beschäftigt ist. Mit einer Bohrmaschine bohrt er gerade eine Holzspalte zu einer deutlichen Spalte aus.
Die Jungen und Mädchen arbeiten weitgehend eigenständig. Putze springt aber sofort ein, wenn irgendeine Verletzungsgefahr besteht. „Die Chemie zwischen ihm und den Schülern stimmt", betont Melanie Wissdaner. Wo die Skulptur einmal stehen wird, sei noch nicht festgelegt, sagt sie. Möglicherweise werde sie neben der „Bauernkriegsfamilie" aufgestellt oder im Steingarten der Schule ein Zuhause finden.
(Artikel erschienen am 08.12.2017 im Gäubote Herrenberg. Wir danken der Redaktion des Gäubote für die freundliche Genehmigung des Nachdrucks. Siehe auch www.gaeubote.de).