2025-02 Alternative Schulwoche

Vorurteile im Alltag erkennen lernen
 
Herrenberg: Zum zweiten Mal widmet die Jerg-Ratgeb-Schule ihre Alternative Schulwoche der Demokratiebildung. Es gibt Workshops zu Themen rund um Gleichheit und Meinungsvielfalt.
 
von Thomas Morawitzky, Gäubote Herrenberg, 08.02.2025
 

Abdullah Yildrim und Ayla Kolar reden mit den Schülern im jüdisch-muslimischer Workshop über Antisemitismus.               GB-Foto: Holom

Demokratie hat viele Facetten, stellt viele Herausforderungen, auf vielen Ebenen. Zum zweiten Mal nutzte die Herrenberger Jerg-Ratgeb-Schule ihre Alternative Schulwoche dazu, dieses große Thema zu erkunden. Seit Montag beschäftigten sich Schüler in verschiedenen Formaten mit verschiedenen Aspekten einer Gesellschaft, die Gleichheit und Meinungsvielfalt zu ihren Grundsätzen zählt.

Eine alternative Schulwoche gibt es an der Jerg-Ratgeb-Schule seit Jahren schon. Klassen beschäftigen sich mit verschiedenen Themen. Workshops mit externen, Kräften finden statt. Die Schüler der neunten Klassen nehmen an diesen Tagen teil am sogenannten „Mutmacherseminar", das der Berufsvorbereitung dient. Nicht Berufsfelder, Arbeitsmarkt stehen hier im Mittelpunkt, sondern die besonderen Stärken der Schüler, ihre Persönlichkeit. Sie lernen sich selbst besser kennen und wissen später vielleicht besser, welchen Beruf sie ergreifen möchten. Themen wie Persönlichkeitsentwicklung, Gemeinschaftsgefühl, Resilienz stehen im Mittelpunkt für die Klassen fünf bis sieben - Themen, die zwar nicht unmittelbaren Bezug zum Hauptthema Demokratie besitzen, in einer demokratischen Gesellschaft aber eine große Rolle spielen.

In den Klassen 8 bis 10 der Jerg-Ratgeb-Realschule rückt die Politik nicht nur als Inhalt der Workshops stärker in den Mittelpunkt. Dort findet auch eine Vorbereitung zur sogenannten Juniorwahl statt. Am 19. und 20. Februar, wenige Tage, ehe die wahlberechtigten ausgewachsenen Bundesbürger zur Urne schreiten, werden es die Schüler tun, in einer simulierten Bundestagswahl, die, lokal und bundesweit, auch ausgezählt werden wird. Eine sehr praktische Einführung in die Demokratie.

"Wir mussten manchmal schützend eingreifen"
Alexander Riegler

Zuvor schon setzen sich die Schüler auf unterschiedliche Weise mit Themen wie Rassismus, Sexismus, Mobbing, Fake News und anderen auseinander. „Was heißt hier wir" ist ein Stück der Theatergruppe „eureformation", die im vergangenen Jahr bereits in Herrenberg zu Gast war, mit einer Produktion, die sich Dietrich Bonhoeffer widmete. Nun erleben die 10. Klassen der JRS ein Stück, das sich mit der Frage beschäftigt, was es bedeutet, „deutsch" zu sein.

„Yad be Yad" derweil heißt ein Workshop der Klassen 9 und 10, der an zwei Tagen der Schulwoche stattfindet und bei dem die Schüler sich direkt ins Gespräch mit einem jüdischen oder muslimischen Gegenüber begeben. Das Gespräch findet in der Klasse, aber, auf Wunsch der Work- 
shopleiter, unter Ausschluss von Lehrern und Öffentlichkeit statt. „Act now" schließlich sind Workshops, bei denen Schülerinnen und Schüler der Klassenstufe acht gemeinsam mit theaterpädagogischen Kräften die Eskalation von Szenen durchspielen, in denen Sexismus, Rassismus oder Ähnliches eine Rolle spielen.

Die Schüler sitzen im Kreis, füllen ein Klassenzimmer, die Theaterpädagoginnen diskutieren mit ihnen das Spiel, die Ergebnisse, Erlebnisse. Und die Jugendlichen denken nach, prüfen im Gespräch ihre Reaktionen, überlegen, wie eine Gesellschaft besser, fairer werden könnte. Schüler Tim fand den Workshop spannend - und lehrreich: „Wir haben viel erfahren, was im Alltag so durch Gruppenzwänge passieren kann. Ich habe so etwas selbst schon oft erlebt, mit Freunden, aber es eigentlich gar nicht gemerkt."

„Im Alltag gibt es oft einen Gruppenzwang", sagt Annalena. „Schon wenn jemand ausgeschlossen wird, weil er nicht mittrinken will oder etwas nicht essen will. Dann heißt es gleich: Wenn du nicht mitkommst, dann bist du nicht mehr mit uns befreundet." Esina weiß, dass Gruppenzwang positiv oder negativ erfahren werden kann - „Manchmal isst man etwas dann doch mit und findet es total lecker." Sie weiß aber auch, wie unangenehm der Druck sein kann, den eine Gruppe auf den Einzelnen ausübt, oder wie schlimm Ausgrenzungen aufgrund der Herkunft sein können: „Ich wurde in Deutschland geboren", sagt sie, „aber meine Familie stammt aus der Türkei. Ich habe so etwas schon erlebt. Es ist eklig. Man weiß dann nicht, was man tun soll."

„Yad be Yad" heißt, auf Arabisch und Hebräisch, „Hand in Hand" - auf solche Weise antisemitischen und antimuslimischen Vorurteilen zu begegnen, ist der Vorsatz des gleichnamigen Projekts, das seit 2024 vom Kultusministerium des Landes gefördert wird. Abdullah Yildrim und Ayla Kolar sind es, die im Auftrag des Stuttgarter Vereins Kubus nach Herrenberg gekommen sind, um mit Schülern der Jerg-Ratgeb-Realschule über diese Themen zu sprechen. Abdullah Yildrim fiel in diesen Gesprächen auf, wie wenig die Schüler mit der Symbolik der antisemitischen Propaganda, den Verschwörungstheorien vertraut sind, die Juden als bluttrinkende Ungeheuer und Großbankiers zeigen.

„Antisemitische Haltungen", sagt er, „treffen wir eigentlich vor allem an, wenn ein Kind an einer Schule von ihnen betroffen ist. Sonst kommen solche Äußerungen nur aus der rechten Szene." Seit einem Jahr arbeiten Abdullah Yildrim und Ayla Kolar für den Verein Kubus, wurden als Workshopleiter geschult - mit rechtsradikalen Inhalten wurden sie seither nicht selten konfrontiert. Rund 750 Schüler besuchen die Jerg-Ratgeb-Realschule derzeit. Etwa 450 von ihnen in den Klassenstufen 7 bis 10. Alexander Riegler, Rektor der Schule, berichtet, dass derzeit kein jüdischer Schüler die JRS besucht. Im vergangenen Schuljahr war das anders - „Und wir mussten tatsächlich manchmal schützend eingreifen." Auch die Zahl der muslimischen Schüler ist nicht hoch an der JRS. Antimusilimische Haltungen finden sich dennoch häufig.

Abdullah Yildrim und Ayla Kolar befragten die Teilnehmer ihres Workshops nicht zu ihrem religiösen Hintergrund. „Unser klarer Fokus", sagt Ayla Kolar, „liegt darauf, das jüdische und muslimische Leben heute zu zeigen, denn das wird im Unterricht nur wenig behandelt." In Herrenberg, an der Jerg-Ratgeb-Realschule, haben sie mit aufmerksamen und diskussionsfreudigen Schülern sehr gute Erfahrungen gemacht

(Artikel erschienen am 08.02.2025 im Gäubote Herrenberg. Wir danken der Redaktion des Gäubote für die freundliche Genehmigung des Nachdrucks. Siehe auch www.gaeubote.de).

 

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